Georg Kühlewind und die Bewegung des Geistes

Georg Kühlewind ist vor einer Generation -ab 1980- auch mein Lehrer gewesen- einer der mir auch persönlich bekannten Lehrer, die einem aktiv Suchenden Orientierung gaben, wenn auch nicht im Sinne eines traditionellen Gurus. Das wäre für einen kühlen, wissenschaftlichen Geist, der den Menschen „als Wort und Gespräch“ darstellte, ein viel zu persönlicher und vor allem passiver Ansatz gewesen. Aber didaktisch wirken wollte Kühlewind schon- sind doch seine Bücher fast immer - auf manchmal durchaus altbackende Art und Weise- von „Übungen“ und ganzen, manchmal durchnummerierten Übungseinheiten durchdrungen. Dieses Lehrerhafte bis Professorale hatte er auch im persönlichen Auftreten, manchmal humorvoll zwinkernd, aber häufig scharf und kritisch insbesondere gegenüber schwadronierenden Anthroposophen, in deren Zweigen und Seminaren er auftrat und lehrte. Sein Credo, nie über etwas zu sprechen, was nicht selbst zur inneren Erfahrung gehörte, stieß den oft okkult spekulierenden Second- Hand- Esoterikern sauer auf, auch wenn Kühlewind wegen seiner souveränen Kompetenz stets gut besucht und als Lehrender umschwärmt war. Sein umfangreiches dichtes Werk zur systematischen intellektuellen und spirituellen Schulung hat dank des Verlages Freies Geistesleben - neben wissenschaftlichen, z.b. sprachwissenschaftlichen Publikationen- ein langjähriges Publikum gefunden. In „Licht und Freiheit. Ein Leitfaden für die Meditation“ (2004)* hat Kühlewind im Anhang auch einige persönliche Anmerkungen zu seinem Meditationsstil hinterlassen, die diesen seinen Hauch von Zen - von reduzierter Technik- recht gut wiedergeben.

Er beschreibt darin, dass er 40 Jahre lang - seit 1964 - sein „übendes Leben“ trotz zahlreicher Experimente auf einen einfachen Grundkanon zurück führte. Die täglichen Übungen hätten ihm die konzentrierten Grundlagen und die Energie für die „Aufgaben des Alltags, wie Forschen, Vorlesungen und Seminare Halten und auch für das Schreiben“ vermittelt. Die Konzentrationsübungen, die - je nach Bedürfnis und Anforderungen- zu mehreren Meditationsübungen am Tag führten, bauten sich häufig zu vielen „Meditationen in einem Bogen“ auf, insbesondere dann, wenn er sie schreibend niederlegte. Termindruck und überhaupt „eine zeitliche Grenze“ wirkten sich für ihn störend aus. Seine Grundlage aber sei stets der Prolog des Johannesevangeliums gewesen. Ansonsten habe er als Einstiegsthema seit 1964 nichts als ein Objekt der Konzentrationsübung, nämlich „meine elfenbeinernen Essstäbchen“ genutzt. Es habe sich gezeigt, dass der Wunsch, dieses Grundthema des meditativen Einstiegs zu variieren, lediglich dann aufkam, wenn „die Aufmerksamkeit nicht ganz und gar“ fokussiert gewesen sei, wenn also Ablenkungen im Spiel gewesen wären. Er sei durch diese Praxis in jeder Situation - „wenn es darauf ankommt“ - recht konzentriert gewesen und habe im engeren Sinne auch keine Konzentrationsübungen machen müssen. Die „kritische Intensität“ der Aufmerksamkeit, um in eine meditative innere Haltung in der Zeitlosigkeit überzugehen, die früher durch zumindest einige Minuten gedauert hätte, erreiche er heute - 2004 - „meist in wenigen Sekunden“, und wachse dann stetig, „ohne Anstrengung und mit Freude“. Für die Moralisten und Puristen hängt er noch daran, dass diese Freude „nicht zur Zerstreuung führen“ solle.

Man sollte bei Kühlewind nicht annehmen, dass es trotz dieser reduzierten, strengen Meditationselemente um eine trockene, intellektuelle Kunst gegangen wäre. Was er unter „das Auferstehen des Wortes“** verstand, entsprach einem modernen Samadhi- Erlebnis in höchster „Tätigkeit des Geistes“, in der Erfahrung der „Logos- Tätigkeit im Leben des Bewusstseins“ (S. 85).

Das, was man populär bei einem Eckhart Tolle*** als Präsenz - Erfahrung „Power of Now“ nachlesen kann, wird bei Kühlewind in eine systematische Schulung, eine komplexe Ausführung und Ausgestaltung und - zumindest gelegentlich- in christliche Konnotation gebracht. Vielleicht liegt gerade in der Komplexität Kühlewinds, aber auch in seinem dauernden Appell an die eigene Aktivität des Interessierten das Problem; Kühlewind sperrt sich implizit und explizit gegen leichte Konsumierbarkeit. Denn um innere Beweglichkeit geht es ihm: „Der Mensch kann auf sein Bewusstsein blicken, kann das Gedachte im Bewusstsein finden, und er kann durch diese Erfahrung zu der Erfahrung des in ihm Erfahrenden gelangen, des Erfahrenden, der nicht wie das Gedachte zur Vergangenheit gehört. Nicht in dem toten Vergangenheitsbewusstsein, sondern in dem Lebendigen, aus dem es genährt wird, aus dem es hervorquillt, kann der Mensch den Logos finden: dort lebt er. Der Mensch kann heute die Bewegung des Denkens erfahren, wenn er wirklich nach innen schaut, auf die Bewegung des Logos in sich selbst.

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* Georg Kühlewind, Licht und Freiheit. Ein Leitfaden für die Meditation, 2005/2
** in: Kühlewind, Die Diener des Wortes. Der Mensch als Wort und Gespräch, 1981
***eckharttolle.com